Kerstin Jungmann
Head of Digital Wealth Channel Zeedin
Die hohe Inflation hat auch etwas Gutes – wenn man so will. Sie hat zumindest dazu geführt, dass die Anleger in Europa miterleben konnten, wie Finanzgeschichte geschrieben wird. Denn um die schmerzhaft hohe Inflation wieder in den Griff zu bekommen, hat die Europäische Zentralbank (EZB) Mitte September den Leitzins im Euroraum so stark angehoben wie nie zuvor seit Einführung des Euro-Bargelds: um 0,75 Prozentpunkte auf 1,25 Prozent. Es dauerte nicht lange, da folgten weitere Zentralbanken in europäischen Ländern nach, und auch die Federal Reserve (Fed) in den USA plant weitere Zinssteigerungen. Doch sind die Zinserhöhungen ein probates Mittel gegen die Teuerung? Und was bedeuten sie für Anleger?
Die Logik erscheint zunächst bestechend: Die Zentralbanker heben den Leitzins an und verteuern damit die Finanzierungskonditionen für Unternehmen wie für Privathaushalte. Das bedeutet: Möchten Privatleute einen Kredit aufnehmen, um ihr Haus zu renovieren, ein Auto zu kaufen oder einen größeren Fernseher ins Wohnzimmer zu stellen, dann müssen sie für die Tilgung des Kredits höhere Zinsen in Kauf nehmen. Ähnlich, wenn auch in oftmals größerem Maßstab, ist es bei Unternehmen: Planen sie eine Finanzierung, um Werkshallen zu erweitern, den Maschinenpark zu erneuern oder Fahrzeuge anzuschaffen, dann ist auch dies nur zu höheren Zinskosten möglich. Die Konsequenz: Haushalte und Unternehmen investieren weniger, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage sinkt, die Preise gehen zurück und damit auch die Inflation.
Denn tatsächlich hat eine hohe Nachfrage erst zur aktuellen Inflation geführt: Während der Hochphase der Corona-Pandemie hatten viele Menschen auf größere Investitionen verzichtet. Zudem lagen Reiseindustrie und Gastronomie brach. Mit Ende der harten Lockdowns stieg die Nachfrage wieder deutlich an – die allerdings aufgrund von Lieferengpässen und Lieferkettenproblemen auf ein geringeres Angebot stieß. Gleichzeitig lief die weltweite Produktion wieder an und benötigte umso mehr Energie, was auch den Preis für fossile Energieträger steigen ließ. Dieser Effekt verschärfte sich mit Beginn des Krieges in der Ukraine. Die Folge ist so bekannt wie schmerzhaft: In Deutschland erreichte die Inflationsrate im September mit 10 Prozent ein trauriges Rekordniveau – so hoch fiel die Teuerung zuletzt im Herbst 1951 aus.
Sind die Zinserhöhungen nun dazu geeignet, die Inflation in die Schranken zu verweisen und eine von der EZB angestrebte maximale Preissteigerung von 2 Prozent zu erreichen? Zumindest kleinere Zinserhöhungen werden dieses Ziel nicht erreichen. Aktuell treffen verhältnismäßig geringe Zinsen auf eine sehr hohe Inflation, so dass die Kaufkraft der Menschen weiterhin sinkt. In dieser Situation ist es für viele naheliegender, ihr Geld auszugeben, bevor die Preise nochmals steigen, als es zum Beispiel zu einem Zinssatz anzulegen, der noch immer deutlich unter der Inflationsrate liegt.
Deshalb ist davon auszugehen, dass die Zentralbanker die Leitzinsen auch noch weiter anheben werden. Die Fed hat entsprechende Schritte bereits angekündigt und ist sogar gewillt, den Leitzins auf mehr als 4 Prozent zu heben. Die EZB, so die Erwartungen, wird nicht auf mehr als 3 Prozent gehen.
Doch was bedeutet das alles nun für die Anleger, die ihr Geld bewahren oder vermehren wollen? Die Aussichten für die Aktienmärkte sind zumindest auf den ersten Blick nicht positiv: Mit der Anhebung des Leitzinses und der beabsichtigten Verringerung der Nachfrage nehmen die Zentralbanken willentlich eine Rezession in Kauf. Sie achten zwar weiterhin auf die allgemeine konjunkturelle Entwicklung, doch lässt sich die Inflation nur in den Griff bekommen, wenn die Nachfrage sinkt und damit auch das wirtschaftliche Wachstum gebremst wird. Solch eine restriktive, auf Zinserhöhungen ausgerichtete Geldpolitik wird auch als „falkenhaft“ bezeichnet.
In den USA sind aufgrund der erhöhten Leitzinsen bereits erste „Kratzspuren“ am Immobilienmarkt erkennbar. Generell sind Immobilien sehr sensibel: Wenn sich viele Menschen aufgrund der höheren Zinsen ihr Eigenheim nicht mehr leisten können, werden diese Objekte an die finanzierenden Banken zurückgehen und in der Folge fallen die Preise für Immobilien. Dies wiederum kann dazu führen, dass weniger Neubauten errichtet werden, was in der Bauindustrie zu einer Rezession führen wird.
Hohe Leitzinsen treffen insbesondere auch Unternehmen, die hoch verschuldet sind oder einen hohen Investitionsbedarf haben. Wenn sie mehr Geld für die Tilgung von Krediten aufwenden müssen, macht sich das direkt beim Unternehmensgewinn bemerkbar. Im schlimmsten Fall kann dies zu Insolvenzen oder auch zu einer Reduzierung der Produktion führen. Diese Entwicklung kann wiederum auf andere, zuliefernde Unternehmen oder auf Wirtschaftsbereiche wie etwa die Werbewirtschaft durchschlagen und deren Umsatz- und Gewinnentwicklung empfindlich beeinträchtigen. Logische Folge: Die Aktienkurse der betroffenen Unternehmen sinken.
Anleger könnten nun dazu übergeben, ihr Geld zunehmend in Anleihen zu investieren. Schließlich wirken sich höhere Zinsen auch auf das Zinsniveau von Anleihen aus, wenn sie auf diese Weise Unternehmen – oder auch Staaten – Geld leihen. Doch einerseits kann es passieren, dass die Nachfrage nach neuen Anleihen ebenfalls verhalten ausfällt, da Anleger auf weiter steigende Zinsen warten. Und andererseits dürfte eine anhaltend hohe Inflation auch die Zinsen vieler Anleihen weiterhin übertreffen.
Heißt das nun, dass dauerhaft mit rückläufigen Aktienkursen zu rechnen sein wird? Nicht grundsätzlich. Zu berücksichtigen ist dabei, dass Aktienkurse nie monokausal sind und von einer Reihe an Einflussfaktoren getrieben werden. Außerdem gibt es am Kapitalmarkt weiterhin ausreichend Unternehmen, die von der aktuellen Situation profitieren. Und: Bei Aktieninvestments besteht zumindest die Chance auf steigende Kurse sowie auf Erträge durch Dividendenausschüttungen – gerade bei einem mittleren bis langfristigen Anlagehorizont.
Die Frage bleibt aber: Ist es wirklich notwendig, die Wirtschaft mit steigenden Zinsen in eine Rezession zu treiben, um die Inflation unter Kontrolle zu bringen? Oder gelingt vielleicht auch ein „Soft Landing“, also eine „sanfte Landung“ ohne stark rückläufige Konjunktur? Zumindest die Fed in den USA hält dieses weiterhin für möglich – oder vielmehr: Sie hofft darauf. Es wird sich zeigen, ob es sich dabei um reinen Zweckoptimismus handelt. In jüngerer Vergangenheit jedenfalls ist solch eine „sanfte Landung“ bislang nur einmal gelungen, nämlich im Jahr 1994.
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