Deutschland erlebt derzeit einen strukturellen Bruch
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Deutschland erlebt derzeit einen strukturellen Bruch

Interview mit Daniel Winkler zu den Erwartungen an die Rezession und mögliche Chancen daraus

07. November 2022

Lesezeit: 5 Minuten

Die Rezession wird kommen – da sind sich die Ökonomen einig. Auch wenn die deutsche Wirtschaft im dritten Quartal überraschend solide gewachsen ist, fallen die Erwartungen an die konjunkturelle Entwicklung für den Rest des Jahres und für die Zeit danach pessimistisch aus. Multi Asset Strategist Daniel Winkler im Gespräch zu den zahlreichen negativen Einflussfaktoren auf die Wirtschaft und zu den Aussichten für das kommende Jahr. Dabei spricht er über die Auswirkungen für die Privathaushalte und sieht auch Chancen für Anleger.

 

Herr Winkler, die Wirtschaft in Deutschland hat sich zuletzt robuster gezeigt als erwartet. Fällt die allseits erwartete Rezession aus?

Die deutschen Konsumenten haben sich bislang überwiegend unbeeindruckt gezeigt von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Trotz der hohen Inflation haben sie mehr Produkte gekauft und mehr Dienstleistungen genutzt. Das ist zunächst erfreulich. Allerdings ist nun die Rede von der sprichwörtlichen Ruhe vor dem Sturm. Soll heißen: Die Wirtschaft in Deutschland und in der Eurozone ist unverändert dabei, in eine rezessive Phase überzugehen. Ich rechne damit, dass die Wirtschaft im vierten Quartal 2022 und im Frühjahr 2023 schrumpfen wird.

Sie sprachen von wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Damit ist konkret was gemeint?

Haupttreiber für die drohende Rezession ist die Energieproblematik, die aus dem Ukraine-Krieg entstanden ist: Einerseits liegen hier die rasant steigenden Energiepreise vor, welche die Nachfrage privater Haushalte sinken lassen und die Spielräume der Unternehmen verkleinern. Andererseits herrscht große Unsicherheit zu einer sicheren Energieversorgung. Dies führt dazu, dass die Unternehmen Investitionen verschieben. Die Investitionszurückhaltung und die Kaufkraftverluste bei den Verbrauchern dürften die Rezession auslösen.

Wie sieht es außerhalb der Eurozone aus?

Die US-Wirtschaft ist relativ zur Eurozone stärker unterwegs. Ich rechne zwar im kommenden Jahr mit einem temporären Rückgang der Wirtschaftsleistung, doch lässt sich die US-Rezession wohl als milde einstufen. In China leidet die Konjunktur weiterhin unter der Null-Covid-Strategie und den schwachen Bauinvestitionen.

Welche Rolle spielen dabei die Zentralbanken – immerhin haben diese schon mehrfach die Leitzinsen erhöht?

Die Zentralbanken werden die in diesem Jahr begonnene geldpolitische Straffung sicherlich auch im kommenden Jahr fortsetzen müssen, um die hohe Inflation in den Griff zu bekommen. Der Mechanismus dahinter: Durch die Erhöhung des Leitzinses verteuern sich Finanzierungskonditionen für private Haushalte sowie für Unternehmen, um so eine weitere Senkung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage zu erreichen. Derzeit ist die Nachfrage trotz aller Unsicherheiten noch zu hoch im Verhältnis zum Angebot, was nun mal zu weiter steigenden Preisen und damit zur bekannten Inflation führt. Die EZB und die Fed nehmen eine Rezession im Sinne der Bekämpfung der Inflation bewusst in Kauf. In den USA ist die Geldpolitik sogar meines Erachtens der wesentliche Faktor, der die Rezession auslösen dürfte.

Wird der Übergang in die rezessive Phase abrupt sein oder fließend?

Wir befinden uns seit dem Russland-Ukraine-Krieg in einem fließenden Übergang. Dabei kommen die genannten Einflussfaktoren zusammen: Wesentlich sind das schrumpfende real verfügbare Einkommen der Privathaushalte und die bereits spürbare Investitionszurückhaltung seitens der Unternehmen. Wichtig ist auch die Rolle der internationalen Nachfrage – schließlich ist Deutschland ein großes Export-Land. Denn andere Länder kämpfen derzeit ebenfalls mit konjunkturellen Herausforderungen.

Was für eine Rezession wird zu erwarten sein?

Wir sehen derzeit eine Gemengelage von mehreren typischen Ausprägungen einer Rezession. Das reicht eben von der genannten unternehmerischen Zurückhaltung bis zur geldpolitischen Straffung. Letztlich hängen alle diese Faktoren zusammen und haben bestimmte Konsequenzen: Entweder führen sie zu schwächerer gesamtwirtschaftlicher Nachfrage oder sie führen zu einem schwächeren gesamtwirtschaftlichen Angebot oder sie begünstigen beides.

Angesichts dieser vielen zusammenhängenden Faktoren: Wird die Rezession länger und stärker ausfallen als bei anderen Rezessionen?

Natürlich besitzt niemand die sprichwörtliche Glaskugel, um in die Zukunft zu schauen. Allerdings besteht ein Unterschied der aktuellen Rezession gegenüber vorangegangenen Rezessionen darin, dass die Geldpolitik nicht die Fiskalpolitik unterstützen kann. Für gewöhnlich senken die Zentralbanken die Zinsen, um die Investitionstätigkeit und damit letztlich die Nachfrage zu beleben und so die Wirtschaft zu stützen. Momentan geschieht aufgrund der Inflation genau das Gegenteil. Gleichzeitig jedoch erleben wir eine Fiskalpolitik, die man insofern als expansiv bezeichnen kann, als dass sie eine Obergrenze etwa der Energiepreise anstrebt, damit die Nachfrage von privaten Haushalten und Unternehmen nicht völlig wegbricht. Das bedeutet, dass trotz der Geldpolitik, die im jetzigen Fall nicht expansiv sein kann, mit der expansiv ausgerichteten Fiskalpolitik die Rezession etwas abgefedert werden dürfte.

Apropos Energiepreise: Welche Entwicklung ist dort zu erwarten?

Wir erleben durch den Krieg in der Ukraine gewissermaßen einen strukturellen Bruch für das Wachstumsmodell Deutschlands und der Eurozone. Dieses Wachstumsmodell basierte in den vergangenen Jahren auf günstiger, importierter Energie, die hauptsächlich aus Russland stammt. Künftig wird man für das wirtschaftliche Wachstum der Eurozone einen Ersatz finden müssen. Deswegen befinden wir uns nun in einer Transformation zu alternativen Energieträgern – eine Transformation, die länger andauern und mit erheblichen Investitionen verbunden sein wird. Es ist unvermeidbar, dass Privatleute genauso wie Unternehmen die Kosten für diese Energiewende auf mittlere bis sogar lange Sicht spüren werden. Positiv ist dabei allerdings die Perspektive: Mit dringend benötigten Innovationen in der Energiewirtschaft besteht die Chance, in Zukunft wieder günstige Energie erwerben zu können. In der Zwischenzeit das Wachstum zu erhalten und zu fördern trotz des massiven strukturellen Bruchs in unserem Wachstumsmodell, stellt insbesondere für Europa, aber teilweise auch für die USA eine riesige Herausforderung dar.

Können Sie denn schon einen Ausblick auf die kommenden Monate geben?

Wie sich die Situation über die nächsten Monate genau entwickeln wird, ist schwierig zu prognostizieren. Während man im Winter von den Temperaturen und der Ver- oder Entschärfungen der Energiepreise sowie von den Corona-Zahlen abhängig sein wird, kann man für das Frühjahr und den Sommer – Stand jetzt – optimistischer sein, da Energiekosten dann wieder weniger relevant sein werden.

Wie werden denn die kommenden Monate für die Bürger in Deutschland?

Wenn sich die Rezession länger als gedacht oder stärker präsentiert, wird das steigende Arbeitslosenzahlen nach sich ziehen. Auch wird eine stärker ausfallende Rezession dazu führen, dass Lohnforderungen schwächer ausfallen, weil die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer relativ gering ist. Somit würden die Lohnsteigerungen nur moderat sein oder sich gar nicht entwickeln. Das wiederum ist prinzipiell gut für die Eindämmung der Inflation. Dies ist für den Einzelnen zwar schmerzhaft, aber es gibt dazu keine Alternativen. Die privaten Haushalte werden aufgrund der Energiepreise zunächst den Konsum zurückfahren, obwohl hier die Fiskalpolitik recht stark unter die Arme greift. Die Entwicklung ist allerdings insgesamt sehr unsicher, da weder Krieg noch politische Konsequenzen vorhersehbar sind. Sicher ist, dass die kommenden Monate ein herausforderndes Umfeld bieten werden.

Was bedeutet das für Anleger?

Eine Rezession bedeutet für den Markt grundsätzlich erstmal rote Zahlen. Das bietet natürlich aber auch große Chancen, da es die Unternehmen auch günstiger zu kaufen gibt. Wer diese Chance nutzt, der wird bei der Erholung des Marktes gute Renditen sehen. Speziell in der jetzigen Situation empfehlen sich Unternehmen, die am Anfang der Wertschöpfungskette stehen. Das sind oft Ressourcen-Produzenten: Kupfer, Öl etc. Erhöhen sich ihre Produktionskosten, wie es momentan unvermeidbar ist, werden sie davon nur wenig geschwächt. Denn sie können ihre erhöhten Kosten direkt weitergeben an den Rest der Kette – etwas, das anderen Unternehmen schwer fallen wird. Das bedeutet für diese Unternehmen, dass sich ihr Angebot für die Konsumenten preislich verschlechtern wird.

Das hört sich an, als gebe es in der weiteren Kette vor allem Verlierer …

Keinesfalls. Höhere Preise bedeuten ein schlechteres Angebot für Kunden. Damit tut sich eine Marktlücke für günstigere, innovative Unternehmen auf. Wer diese Innovationen frühzeitig entdeckt, der kann überdurchschnittlich profitieren. Die wohl größte Marktlücke ist momentan im Bereich Energie zu finden: Dabei handelt es sich um erneuerbare Energien, welche bisherige Energieträger ersetzen können. Wer die Unternehmen mit den besten Angeboten findet, der hat die Chance, künftig bei besseren Marktkonditionen sehr gute Renditen erzielen zu können.

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