Regulierungswut in China?
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Regulierungswut in China?

Markt & Wirtschaft

16. August 2021

Lesezeit: 4 Minuten

Nach den jüngsten Regulierungsmaßnahmen im Reich der Mitte stellt sich die Frage nach den Gründen und der zukünftigen Entwicklung. Wird sich Peking in sämtliche Branchen einmischen und bei nationalen wie internationalen Investoren Angst und Panik erzeugen? Wir beleuchten einige Erklärungsversuche und zeigen auf, dass sich Engagements in China weiterhin lohnen.

Regulatorische Offensive

In den vergangenen Monaten hat die chinesische Regierung in den Bereichen Monopol-Stellung von Unternehmen, Cyber- und Datensicherheit und jüngst auch bei der (Schul-)Ausbildung ihre Schrauben deutlich angezogen. Insbesondere Technologiefirmen, aber auch Fahrdienst- und Bildungs-Anbieter sind betroffen.

Die Märkte haben die diversen Staatseingriffe nicht kalt gelassen und haben diese teilweise mit signifikanten Kursrückgängen quittiert. So rangiert der MSCI China Index seit Mitte Februar um rund ein Viertel niedriger. Die Frage in die Zukunft gerichtet lautet: sind die jüngsten regulatorischen Maßnahmen erst der Anfang einer regelrechten Eingriffswelle des Staates und der Beginn stürmischer Zeiten an den lokalen Märkten oder handelt es sich um rationalisierbare Maßnahmen, die sich „nur“ in der Form zu den westlichen Regulierungseingriffen unterscheiden? Oder steckt gar ein völlig anderes Motiv, das der temporären Abschwächung von internationalen Portfolio-Flüssen nach China, dahinter?

Der "Markt" sorgt sich

Die Marktteilnehmer beobachten nach dem gescheiterten Börsengang der Ant Group im vergangenen Herbst, der für erhebliche Verunsicherung sorgte, eine in diesem Jahr nochmals niedrigere Schwelle für Chinas behördliche Kontrolle. Der bisherige Hochpunkt staatlicher Einflussnahme im laufenden Jahr stellte die von Peking eingeleitete Überprüfung der Cybersicherheit von Didi Global (DIDI) dar, wenige Tage nachdem das Unternehmen im Juli 2021 in den USA an die Börse ging.

Bei der behördlichen Prüfung ging es augenscheinlich vor allem darum, die politische Kontrolle über einige der chinesischen Internetriesen zu erlangen, um finanzielle Risiken zu mindern – Ant Group zum Beispiel war sechsmal stärker fremdfinanziert als typische chinesische Banken. Darüber hinaus spielten wohl auch monopolistische Bedenken eine Rolle. Auch um die Bedingungen für Leih- bzw. Zeitarbeiter zu verbessern sowie kleinen und mittleren Unternehmen zu helfen, die von den großen Technologieplattformen abhängig sind.

Die Unsicherheit für die betroffenen Unternehmen dürfte wohl noch eine Weile anhalten, da das chinesische Datenschutzgesetz sehr weit gefasst und nebulös ist. Dies macht es für Unternehmen, darunter auch Chinas Tech-Giganten, schwieriger, sich damit auseinanderzusetzen und es einzuhalten. ByteDance, Eigentümer von TikTok, sagte im vergangenen Monat beispielweise, dass es seine Pläne für eine Offshore-Börsennotierung auf unbestimmte Zeit aufschiebt, da die Regulierungsbehörden es aufgefordert haben, sich mit Datensicherheitsrisiken zu befassen.

Prognose von Staatseingriffen

Eine Möglichkeit besteht darin, das regulatorische Risiko durch das Prisma der Beschwerden zu betrachten. So hatten sich beispielsweise kleine und mittlere Unternehmen über die Exklusivitätsforderungen der Alibaba Group Holding beschwert, während sich die Mitarbeiter der Mitfahrzentralen DiDi Global und Meituan über Löhne und Arbeitszeiten beschwerten. Ferner hatten sich Eltern darüber beschwert, dass ihre Kinder süchtig nach Online-Spielen werden. Zudem würden bestimmte Bildungsanbieter den Nachwuchs unter unzulässigen Stress setzen und zu viel Geld für eben jene Bildungsleistungen verlangen. Unternehmen aus diesen Branchen waren in den vergangenen Monaten Gegenstand von Regulierungsmaßnahmen.

Auch eine mögliche weitere Verlängerung der Führungsrolle Xi Jinpings dürfte eine Rolle spielen. Wenn ein Präsident seine Amtszeit absichern will, ist die erste Priorität, dass die Menschen das Gefühl haben, dass sein Handeln von ihren Problemen geleitet und mit ihren Interessen übereinstimmt. Die Regierung will somit nicht den Eindruck erwecken, dass sie die Unternehmen gegenüber der Gesellschaft bevorzugt. Am Anfang jeder Regulierungsmaßnahme stand eine (gesellschaftliche) Beschwerde. Die Beschwerden könnten somit als Frühindikator dienen.

Ist die Wirtschaft gefährdet?

Aus unserer Sicht stellen die skizzierten staatlichen Maßnahmen keinen General-Angriff auf chinesische Privatunternehmen oder ausländisches Kapital dar. Vielmehr handelt es sich größtenteils um soziale Probleme und strategische Aspekte, über die sich die chinesische Führung große Sorgen macht. Das Beispiel der Kinder, die schon in jungen Jahren gestresst werden, wurde oben angesprochen. Ganz grundsätzlich ist die Verwendung von Daten nicht nur in China ein Thema, das hochsensibel ist. Aus der selektiven Vorgehensweise der chinesischen Regierung nun abzuleiten, sämtliche Branchen stünden kurz vor einer staatlichen Reglementierung und die chinesische Regierung hätte es grundsätzlich auf kommerzielle und private Unternehmen abgesehen, ist ein Trugschluss.

China ist sich bewusst, dass es private Unternehmen braucht. Auf sie entfallen 80 % der Arbeitsplätze in den chinesischen Großstädten und ein ähnlicher Prozentsatz der neuen Technologien und Innovationen des Landes, die China selbstredend fördern möchte.

Die These, China hätte Probleme mit großen Unternehmen, kann ebenso verworfen werden. Peking hat jedoch Probleme mit Großindustriellen oder Wirtschaftsführern, die versuchen, sich politischen Einfluss zu verschaffen. Dies konnte in Europa und insbesondere in den USA während einer ganzen Präsidentschaft beobachtet werden; China will diesen Weg nicht gehen.

Wenngleich das Reich der Mitte die Nebenwirkung der durchaus rigiden Eingriffe in die heimische Wirtschaft – eine vorübergehende dämpfende Wirkung auf Kapitalzuflüsse – insgeheim willkommen heißen dürfte, sind die Motive summa summarum aus dem sozialistischen Wirtschaftsbild ableitbar. Hier sieht sich der Staat in einer planungsvollen Verantwortung und gewichtet Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen höher als seine Pendants in den Industriestaaten. Dabei ist sich die zweitgrößte Volkswirtschaft der Bedeutung seiner (Privat)Wirtschaft jedoch bewusst, so dass sich die regulatorischen Maßnahmen letztlich nur auf bestimmte Bereiche beschränken dürften.

Chancen ergreifen

Für Anleger mit einem Zeithorizont von fünf Jahren oder mehr könnten sich in diesem Umfeld Kaufgelegenheiten ergeben - vorausgesetzt, sie haben ihre Wachstumserwartungen neu kalibriert, so dass sie nicht mehr wie in der Vergangenheit von monopolgesteuerten Renditen und Hyperwachstum ausgehen. Ganz allgemein dürfte dieser Übergang von einem absoluten Wachstum zu einem stärker regulierten Wachstum, das an nationale Ziele gebunden ist, die Bewertungen der großen Technologieunternehmen senken. Zur Erinnerung: im Rahmen von Chinas wirtschaftlicher Transformation, hin zu mehr inländischem Konsum und einer geringeren Rolle von (Industrie-)Investitionen, muss die Regierung die privaten Haushaltseinkommen steigern. Dazu gehört auch eine Reduzierung der Einkommensungleichheit und ein breiterer Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und Wohnmöglichkeiten, insbesondere für Familien (Stichwort Demographie). Der Kuchen soll also für alle gleicher verteilt werden – dazu müssen nach Adam Riese die Unternehmensgewinne zumindest partiell sinken, so dass gleichzeitig höhere Löhne gezahlt werden können.

In der Zwischenzeit entstehen bei kleineren Technologieunternehmen Möglichkeiten für Engagements: diese Firmen profitieren nun davon, dass größere Konkurrenten mit regulatorischem Druck konfrontiert sind. Ebenso bei Hardwareunternehmen - wie Robotik, 5G-Infrastruktur, Halbleiter und Fahrzeuge mit sauberer Energie -, die davon profitieren, dass sie sich an der Schnittstelle zwischen globalen Wirtschaftstrends und Pekings politischen Zielen befinden. Während der MSCI China Index in den vergangenen drei Monaten um rund 4 % gefallen ist, ist der MSCI China Small-Cap Index um 3 % gestiegen!

Investoren sollten die chinesischen Technologie-Unternehmen als Monopole betrachten, die jedoch keine monopolistischen Gewinne erzielen werden. Die Kosten der Regulierung werden von den großen Unternehmen getragen. Diese Unternehmen haben eine gute monopolistische Marktposition. Aber aus Gründen des Verbraucherschutzes, des Datenschutzes und Ähnlichem wird die chinesische Regierung ihnen nicht erlauben, auf eine Weise Geld zu verdienen, die sie als sozial suboptimal ansieht.

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