Digitalisierung von Stiftungen: Perspektiven
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Digitalisierung von Stiftungen: Perspektiven

Stiftungsmagazin "Substanz & Werte"

30. Januar 2023

Lesezeit: 5 Minuten

Digitale Lösungen können dabei helfen, Gutes noch besser zu tun. Impulse aus dem deutschen Stiftungs- und Nonprofit-Bereich:

Die Covid-19-Pandemie hat das Thema „Digitalisierung“ bei vielen Stiftungen und gemeinnützigen Organisationen mehr oder weniger schlagartig in den Blickpunkt gerückt. In den meisten Fällen geschah dies insbesondere hinsichtlich der Frage, wie trotz Lockdown die Arbeitsfähigkeit erhalten werden kann. Es wurde ein erheblicher Digitalisierungsschub ausgelöst, der ohne die Pandemie in diesem Umfang und in dieser Geschwindigkeit von den meisten Stiftungsorganisationen und deren Gremien wohl kaum initiiert worden wäre. Gleichzeitig bleibt Digitalisierung für viele ein abstrakter Begriff, der sich nicht automatisch und logisch in die allgemeine Stiftungsarbeit einordnet. Das Buzzword mit inhaltlichem Leben zu füllen und ausgehend von Stiftungszweck und Mission konkrete Überlegungen anzustellen, wo digitale Lösungen helfen können, „Gutes besser zu tun“, muss im Mittelpunkt stehen. Die nachfolgenden Kurzstatements und Impulse von digitalerfahrenen Köpfen aus dem deutschen Stiftungs- und Nonprofit- Bereich sollen dabei helfen, alternative Einstiege ins Thema zu ermöglichen und Reflexionspunkte zur digitalen Weiterentwicklung der eigenen Stiftung in der Post-Covid-19-Welt zu schaffen.

Von der "kollektiven Zumutung" zu fördernden Rahmenbedingungen
Dr. Holger Krimmer, Geschäftsführer von Zivilgesellschaft in Zahlen

„Digitalisierung ist für bürgerschaftlich Engagierte eine kollektive Zumutung“, meinte der Befragte einer Studie von ZiviZ zu Beginn der pandemischen Situation. Gemeint war damit nicht, dass der Einzug digitaler Instrumente in gemeinnützige Arbeit unerwünscht sei oder deren Nutzen nicht erkannt würde. Denn die ersten funktionierenden Video-Calls des Vorstan- des der lokalen Bürgerstiftung, die ersten Workshops mit genutzten Concept-Boards waren die kleinen Erfolgserlebnisse der frühen Phase der Covid-19-Pandemie.

Die eher zögerliche Nutzung digitaler Instrumente im gemeinnützigen Stiftungswesen hat andere Gründe. Drei Viertel aller Stiftungen arbeiten rein ehrenamtlich. In dieser Hinsicht gleicht der Stiftungssektor dem Feld der über 600.000 gemeinnützigen Vereine in Deutschland. Und da Engagement in Stiftungen zu großen Teilen Gremienengagement bedeutet, sprechen wir hier nicht überwiegend vom Engagement junger „Digital Natives“, sondern von älteren Personen. Kurz: Die typische gemeinnützige Stiftung verfügt häufig weder auf der Ebene der Engagierten noch der Organisationsstrukturen über ausgeprägte Ressourcen in Sachen Digitalisie- rung. Das heißt: keine IT-Abteilung, die mal eben die letzten Updates ausrollt, die den Weg durch den Dschungel möglicher Anwendungen zur besseren Kollaboration weist, die weiterhilft, wenn die Bildschirmfreigabe zum Teilen der Präsentation in der Sitzung schon wieder nicht klappt.

Wenig verwunderlich: Stiftungen und Vereine haben in der Frühphase der Pandemie kurzerhand alle aus ihrem Umfeld zu Digitalberatern gemacht, die etwas beitragen konnten: lokale Unternehmen, Familienmitglieder, Freiwilligenagenturen, Freunde und Bekannte, Verbände und viele mehr. Die so beschrittenen Pfade haben in der Krise häufig leidlich gut funktioniert. Langfristig gesehen bleiben sie aber dennoch ein Krisenmodus.

Jetzt geht es darum, erste Suchbewegungen durch förderliche Rahmenbedingungen wirkungsvoll zu unterstützen. Wie können gemeinnützige Stiftungen, aber auch andere Organisationen des gemeinnützigen Sektors bestmöglich unterstützt werden? Wie können Kompetenzträger und Kompetenzbedarfe zusammengebracht werden? Wie kann die Exklusion wenig digital affiner Engagierter aus sich zunehmend digitalisierenden Engagementkontexten verhindert werden? Wie kann, zum Beispiel durch Reverse Mentoring, der Frust junger Engagierter in Selbstwirksamkeitserfahrungen überführt werden?

Das sind Leitfragen für die zweite Phase der Digitalisierung, die in vielen Organisationen längst begonnen hat. Politische Unterstützung und die wertvollen fördernden Tätigkeiten von Landesstiftungen und der neuen Bundesstiftung für Engagement und Ehrenamt leisten hier einen sehr wichtigen Beitrag. Auf lokaler Ebene sind Freiwilligenagenturen, Mehrgenerationenhäuser und verbandliche Strukturen wichtige Vernetzer und Kompetenzträger. Aber auch das hat uns die Krise gezeigt: Der Beitrag engagierter Unternehmen im lokalen Umfeld wird häufig unterschätzt. Und gerade beim Thema Digitalisierung können Unternehmen für Stiftungen und lokale Zivilgesellschaften einen wichtigen Beitrag leisten.

Sektorales Lernen voneinander verstärken
Cathrin Heinirch, Geschäftsführerin der Stiftung Bürgermut

Die deutsche Stiftungslandschaft ist von einer ungeheuren Vielfalt gekennzeichnet. Dies gilt beispielsweise für Größe, Art der Erfüllung des Stiftungszweckes oder den thematischen Fokus des Stiftungshan- delns. Eine „One size fits all“-Lösung für digitales Stiftungsmanagement und die damit verbundenen Verwaltungs- und Kommunikationsprozesse ist daher wenig zielführend. Wo bestehende Standardprodukte  eingesetzt werden können und wo gegebenenfalls eine maßgeschneiderte Lösung erforderlich ist, gilt es für die eigene Organisation individuell zu entscheiden.

Zwar gibt es eine wachsende Zahl von Wissensressourcen im Netz, doch was davon hilft in welchem Stadium der Umsetzung? Wie mit Rückschlägen umgehen und von wem die Motivation erhalten?

Neben persönlichem 1:1-Austausch mit Kolleginnen und Kollegen können virtuelle Peer-Learning-Circles helfen, die passenden Organisationen zusammenzubringen und Brücken zwischen Menschen zu schaffen, die in unterschiedlichen Kontexten an gleichen digitalen Herausforderungen arbeiten. Ganz im Sinne des „Kapierens statt eines bloßen Kopierens“ können solche längerfristigen Runden helfen, die praktischen Erfahrungen und teils gemachten (Um-) Wege in Projekten zu teilen, die sich in diesem Fokus und Detaillierungsgrad nicht in Checklisten oder ähnlichem finden.

Der Impuls für entsprechende Peer- Learning-Circles kann aus dem eigenen Netzwerk heraus entwickelt werden oder man sucht gezielt nach bestehenden Austauschkreisen, zum Beispiel beim Bundesverband Deutscher Stiftungen, beim Deutschen Fundraising Verband oder über die digitalen Veranstaltungsformate des Stifterverbands/ZiviZ oder des Digital Social Summits. Die Erfahrungen der Stiftung Bürgermut aus verschiedensten Peer-Learning-Circles im Umfeld von „D3 – so geht digital“ haben gezeigt, wie wertvoll und bereichernd der Austausch ist. Gehen Sie insofern den digitalen Wandel in der Stiftung nicht allein an, sondern suchen Sie sich spannende und offene Weggefährten!

Digitales Fundraising als integraler Bestandteil der Fundraising-Strategie 
Sabine Wagner-Schäfer, Vorständin des Deutschen Fundraising Verbandes

Als Vorstand des DFRV beobachten wir seit Jahren die zunehmend erfolgreiche Nutzung der digitalen Kanäle im Fund- raising. Darauf reagieren wir innerhalb unserer eigenen Strategie, in der das Thema Digitalisierung und die Unterstützung des digitalen Fundraisings in der Branche eine große Rolle spielt. Wir haben uns hier Ziele gesetzt, um zum Beispiel das Wissen in den NPOs auf- und auszubauen und dafür professionelle Plattformen zu schaffen. Die Covid-19-Pandemie hat jetzt der Relevanz der digitalen Kanäle und der Digitalisierung in den NPOs einen deutlichen Schub verpasst: Nahezu die ganze Branche hat, auch ohne komplett digitalisiert zu sein, einen Wachstumsschub im zweistelligen Prozentbereich der digitalen Spendeneinnahmen generiert. Beispielsweise hat die DLRG – Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft e.V. in den letzten vier Jahren konsequent in digitales Fundraising investiert und dadurch jedes Jahr hohe zweistellige Wachstumsraten bei den digitalen Einnahmen erreicht, im Covid-19-Jahr 2019 sogar ein Plus von 89 % zum Vorjahr. Das digitale Fundraising ist seit mehr als fünf Jahren auf einem deutlichen Vormarsch in Deutschland, aber die Strukturen und die Kultur in vielen NPOs hinken oft noch hinterher, und die Kapazitäten und Budgets für das digitale Fundraising sind noch nicht überall so aufgestellt, wie wir das im traditionellen Fundraising kennen. Digitales Fundraising wird leider noch zu oft gesehen wie ein „Extra“ und nicht als integrativer Teil des „normalen“ Fundraisings verstanden.

Open Source fördern - digitale Infrastruktur aus der Zivilgesellschaft für die Zivilgesellschaft
Katarina Peranic, Vorständin der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt

Die Open-Source-Community und ehrenamtliches Engagement eint der sinnstiftende Einsatz für andere Menschen. Und natürlich bieten Open-Source-An- wendungen für Vereine gute Lösungen für ihre Bedürfnisse. Die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt wurde gegründet, um Engagierte zu unterstützen – auch und gerade im digitalen Wandel. Dabei gilt für uns das Motto „Public Money – Public Code“: Software, die mit öffentlichen Mitteln gefördert wurde, sollte der Öffentlichkeit als Allgemeingut zur Verfügung gestellt werden.

Dieser Aufgabe gehen wir auf mehreren Wegen nach: Wir fördern freie Software-Lösungen für das Ehrenamt, so die Mitglieder-Software CiviCRM, die Informationsplattform „Wissensnetz“ und die digitale Umgebung „WorkAdventure“, in der sich Engagierte digital treffen können. Daneben informieren mit unserem Format „Tool des Monats“ über praktische Open-Source-Lösungen. Und wir begleiten mit unserem Programm „100xDigital“ gemeinnützige Organisationen bei der Lösung ihrer digitalen Herausforderungen und der Verwendung von Open Source.

Am Anfang ist der Einsatz von Open-Source- Lösungen oft ungewohnt. Wir sind aber sicher: Wo Ehrenamt und Open Source zusammenkommen, entsteht viel Potenzial für neue Möglichkeiten. Probieren Sie einige Open-Source-Alternativen aus – die DSEE unterstützt Sie gerne dabei!

Digitalisierung von Stiftungen als Führungsaufgabr und Organisationsentwicklungsprozess
Dr. Peter Kreutter, Direktor der Stiftung Wissenschaftliche Hochschule für Unternehmensführung

Der Trend der Digitalisierung kann für Stiftungen grundsätzlich in zweierlei Dimensionen gedacht werden. Einerseits ist dies die Frage, inwieweit die Mission der Stiftung tangiert ist. Ein Themenfeld sind die ethisch-moralischen Gestaltungs- fragen von Digitalisierungseffekten in der Gesellschaft und deren aktive Bewältigung. So startete beispielsweise die ZEIT-Stiftung bereits 2016 eine Initiative zu einer „Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union“. Mehrere Stiftungen initiierten gemeinsam das „Forum Bildung Digitalisierung“, das sich für systemische Veränderungen und eine nachhaltige digitale Transformation im Bildungsbereich einsetzt.

Andererseits schaffen digitale Lösungen Weiterentwicklungsmöglichkeiten und Veränderungsdruck innerhalb der Stiftungen selbst. Hier gilt es, Digitalisierung als integralen Bestandteil der Stiftungsorganisation zu denken. Die möglichen Auswirkungen auf die internen Prozesse sowie die Kultur der eigenen Stiftung müssen im Fokus sein. Digitalisierungsaktivitäten auf reine Toolentscheidungen zu reduzieren, wäre zu kurz gesprungen.

Das Zitat des bekannten Managementvordenkers Peter Drucker, „Culture eats strategy for breakfast“, sollte gerade für Nonprofit-Organisationen ein warnender Hinweis sein. Mit der Einführung von neuen digitalen Lösungen (zum Beispiel einer Software für das Management des Förderprozesses) gehen stets auch Organisationsentwicklungsprozesse einher. Umgekehrt ist die Einführung neuer agiler Arbeitsweisen nicht ohne eine entsprechende IT-technische Unterstützung denkbar.

In allen Fällen sind die Führungskräfte in den Stiftungen gefragt. Sie sollten den Mitarbeitenden nicht nur zu Beginn klar das organisatorische Zielbild für die Zukunft aufzeigen können, sondern im laufenden Implementierungsprozess Rückhalt und Motivation geben. Kommunikationsstärke und insbesondere eine gelebte Vorbild- funktion, was die eigene Offenheit für diese Veränderungen anbetrifft, sind die Basis einer glaubwürdigen, zeitgemäßen Führung.

Fazit

Der Stifter sollte sich für seine letztwillige Stiftungserrichtung ausreichend Zeit nehmen und sich unbedingt rechtlich und steuerlich beraten lassen. Denn die eigentliche Frage lautet nicht, ob zu Lebzeiten oder von Todes wegen. Die entscheidende Frage lautet vielmehr: Möchte ich mich gemeinnützig engagieren und wenn ja, in welcher Form? Wenn sich der Stifter für die Errichtung einer Stiftung entschieden hat, schließt sich die Frage nach der finanziellen Absicherung der Stifter an, die für die Entscheidung, die Stiftung zu Lebzeiten oder von Todes wegen zu gründen, prägend ist. Entscheidet sich der Stifter für eine testamentarische Gründung, ist eine vorausschauende, überlegte und kompetente Gestaltung zu Lebzeiten und Begleitung bis zur eigentlichen Stiftungsgründung erforderlich, denn eine Nachbesserung durch den Stifter kommt naturgemäß nicht mehr in Betracht.